Hat AdobeRGB mehr Farben als sRGB?

Nein. Sehen wir uns an, warum das so ist:

Die Anzahl der Farben, die mit Farbräumen wie AdobeRGB, ProPhotoRGB oder sRGB codiert werden können, hängt einzig und allein von der Farbtiefe des Bildes ab. Ein 8-Bit-RGB-Bild kann daher immer, egal in welchem Farbraum, 16,7 Millionen Farben codieren. Handelt es sich um ein 16-Bit-Bild können 281 Billionen (!) Farben codiert werden.

Doch bei dieser riesigen Zahl wird schnell klar, dass es keinen Sinn mehr macht, von Farben zu sprechen. Denn wir Menschen sind nicht annähernd in der Lage, so viele Farben zu unterscheiden. Wir sind nicht einmal in der Lage, 16,7 Millionen Farben zu unterscheiden. Wie viele es tatsächlich sind, wurde noch nicht endgültig geklärt, aber wir bewegen uns hier zwischen 100.000 und 10 Millionen Farben.

Die oben erwähnten Zahlen sollte man also besser als Werte bezeichnen: 16,7 Millionen Werte kann ein 8-Bit-Bild codieren. Nun müssen wir aber den Begriff Farbe definieren:

Was ist Farbe eigentlich? Eine Farbe ist keine physikalische Eigenschaft sondern ein subjektiver Eindruck, der erst durch unsere Wahrnehmung im Gehirn entsteht. Man kann Farben also nicht einfach messen. Es gibt keine physikalische Einheit, die zeigt, wie unterschiedlich zwei Farben sind. Damit man eben diesen Unterschied – also den Farbabstand – messen kann, musste erst ein auf unserer Wahrnehmung basierendes Modell entwickelt werden. In den 1920er Jahren entstand daher der XYZ-Farbraum. Dieser war aber aus mehreren Gründen nicht ideal, sodass wir heute das LAB-System zur Farbmessung verwenden. Der LAB-Farbraum umfasst alle wahrnehmbaren Farben und wurde zudem gleichabständig konzipiert. Das heißt: Die visuellen und numerischen Farbabstände entsprechen sich. LAB ist in dieser Hinsicht zwar nicht perfekt, aber deutlich gleichmäßiger als zum Beispiel XYZ und natürlich alle anderen RGB- oder CMYK-Modelle.

Der empfundene Unterschied bzw. Farbabstand kann also mithilfe des LAB-Modells gemessen werden und wird in Delta E* angegeben. (Das E steht für Empfindung und wurde vom Physiker Deane B. Judd eingeführt.) Wenn der Unterscheid zweier Farben weniger als 1 Delta E beträgt, kann das durchschnittliche menschliche Auge keinen Unterschied erkennen. (Das Delta E kann hier berechnet werden.)

Doch zurück zu den RGB-Werten: Jedem RGB-Wert ist auch ein gewisser LAB-Wert zugeordnet. Doch hier ist der springende Punkt: Es kann durchaus sein, dass zwei oder mehrere RGB-Werte dem selben LAB-Wert zugeordnet sind.

lab-werte
Das Farbaufnahmewerkzeug zeigt wie zwei unterschiedliche RGB-Werte einer LAB-Farbe zugeordnet werden.


Im Screenshot oben sehen wir wie beide RGB-Werte 107/195/255 und 108/195/255 dem LAB-Wert 75|-14|-38 entsprechen. Wir haben es also mit zwei RGB-Werten zu tun, aber mit nur einer Farbe. Somit ist klar, dass ein Farbraum, der zwar 16,7 Millionen Werte codieren kann, nicht zwangsweise 16,7 Millionen unterscheidbare Farben aufweisen muss. Die eingangs gestellte Frage müsste also lauten:

Hat AdobeRGB mehr für das menschliche Auge unterscheidbare Farben als sRGB?

Darauf ist die Antwort ganz klar Ja. Denn der wesentliche Unterschied beider Farbräume ist deren Skalierung. AdobeRGB besitzt einen größeren Gamut, daher sind auch die Abstände zwischen den 16,7 Millionen Farben größer. In der Abbildung unten ist beispielhaft eingezeichnet, dass der Abstand zwischen zwei AdobeRGB-Farben 1 Delta E beträgt. D.h. wir können jede einzelne Farbe unterscheiden. Im sRGB-Farbraum verteilen sich aber auf viel kleinerem Raum genauso viele Werte. Der Abstand zwischen den Farben ist also kleiner als 1 Delta E. Hier im Beispiel beträgt er schemenhaft 0,5 Delta E. Das heißt jedoch, dass die Hälfte der Farben für uns nicht erkennbar sind, weil sie sich zu wenig von ihren Nachbarn unterscheiden. Folglich können wir im AdobeRGB-Farbraum mehr Farben unterscheiden.

vergleich-sRGB-adobeRGB-2

AdobeRGB verteilt die Werte also auf eine größere Fläche – auf einen größeren Gamut, genauer gesagt. Der Gamut bezeichnet, wenn man so will, den Umfang des »Sortiments« an Farben, nicht aber die Anzahl. Diese kann nur von der Farbtiefe spezifiziert werden.

Eine Analogie hilft vielleicht dabei, das Ganze nochmal zu verdeutlichen: Stellen wir uns vor, wir haben zwei Buntstift-Boxen. Die AdobeRGB-Box hat 30 Buntstifte von Gelb über Grün und Blau bis Rot. Die sRGB-Box hat auch 30 Buntstifte, allerdings nur 30 verschiedene Gelbtöne. Welche der beiden Boxen hat nun mehr Farben?

Fazit
AdobeRGB hat das Potential mehr vom Menschen unterscheidbare Farben darzustellen als der sRGB-Farbraum. Ob ein Bild davon tatsächlich Gebrauch macht, ist jedoch eine andere Frage.

Hinweise
1. Das Colormanagement-Programm ColorThink Pro kann mithilfe des Befehls »Extract Unique Color Values« alle Farben eines Bildes auflisten. Hier werden aber die numerisch unterscheidbaren Farbwerte ausgewertet und nicht die vom Menschen unterscheidbaren Farben.

ColorThink Extract Unique Color Values

2. AdobeRGB oder auch sRGB sind bloß Räume, die – abgesehen von Primärvalenzen, Weißpunkt etc. – keine Informationen beinhalten. Ohne einen Pixel, gibt es auch keine Farbinformationen. Daraus folgt, dass ein Bild mit weniger als 16,7 Millionen Pixel auch nicht alle Farben beinhalten kann, die mit 8 Bit theoretisch dargestellt werden können.

*Das Delta E ist die gedachte Linie zwischen zwei Punkten im LAB-Farbraum:

delta-e


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