Eine der Königsdisziplinen in der Automobilfotografie sind sogenannte
Rigshots. Dabei wird die Kamera mittels eines sogenannten Rigs an das Auto montiert. So kann das fahrende Auto aus der Bewegung heraus fotografiert werden. Die dadurch entstehende Bewegungsunschärfe erzeugt eine spannende Dynamik. Leider sind professionelle Rigshots sehr aufwändig und enorm kostspielig. Denn das Rig muss am Fahrzeug montiert werden, aus Sicherheitsgründen müssen meist ganze Straßenzüge für die Aufnahme gesperrt werden, Bewilligungen müssen eingeholt werden und noch dazu muss das Rig am Ende aus der Aufnahme wieder hinausretuschiert werden (siehe unteres Bild). Viele Gründe, warum man die Bewegungsunschärfe digital realisieren sollte.
Es gibt jedoch einen Haken: Die Bewegungsunschärfe, die durch so eine Aufnahme entsteht, gleicht in keinster Weise den Ergebnissen, die der gewöhnliche Bewegungsunschärfefilter in Photoshop oder einem anderen Bildbearbeitungsprogramm erzeugt.
Wie hier im Screenshot zu sehen, ist die Bewegungsschärfe an einer geraden Linie ausgerichtet und folgt weder der Kurve noch verjüngt sie sich nach hinten. Zudem ist die Stärke der Unschärfe gleichmäßig. Sie müsste aber nahe der Kamera am stärksten sein und mit der Entfernung abnehmen.
Um so etwas realistisch zu simulieren, gibt es zwei spezielle Programme: das Virtual Rig Studio und Bleex. Seit der Version CC 2014 bietet auch Photoshop mit dem Filter »Pfadweichzeichnung« ein geeignetes Werkzeug an. Schauen wir uns die Programme näher an.
Funktionsumfang
Sowohl das Virtual Rig Studio als auch Bleex wurden von renommierten Bildbearbeitungsstudios entwickelt. Ersteres von Playground, letzteres in Zusammenarbeit mit Recom. Die Programme sind daher sehr praxisorientiert und bieten die Funktionen an, die für eine High-End-Produktion nötig sind. Generell besitzen auch beide einen sehr ähnlichen Funktionsumfang – Photoshop ist hier klar im Nachteil. Da Photoshop aber nicht speziell für diese Arbeit entwickelt wurde, ist allein schon die Tatsache, dass es die Möglichkeit gibt, beachtenswert. Zudem verfügt Photoshop auch über einige Basis-Einstellungsmöglichkeiten:
Für Standardsituation ist das durchaus ausreichend. Für High-End-Produktionen fehlen allerdings wichtige Funktionen: Beispielsweise die einfache Möglichkeit
360-Grad-Bilder zu verarbeiten, was vor allem für vollständige CGI-Produktionen außerordentlich wichtig ist. Virtual Rig Studio bietet diese Funktion in der Pro-Version, Bleex bietet nichts Vergleichbares.
Ebenso bieten im Gegensatz zu Photoshop beide Programme die Option, einen sogenannten
Jitter-Effekt hinzuzufügen. Dieser simuliert die kleinen Verwacklungen, die bei echten Rigshots durch das Wackeln der Kamera entstehen. Das Virtual Rig Studio bietet hier etwas mehr Einstellungsmöglichkeiten. In der Praxis ist das aber nicht wirklich relevant.
Virtual Rig Studio
Bleex
Eine weitere Funktion, die sowohl das Virtual Rig Studio als auch Bleex bietet, ist das Verarbeiten von HDRI-Bildern. Beide bieten dieses Feature aber nur in der teuren Pro-Version an.
Darüber hinaus bietet das Virtual Rig Studio noch einige andere praktische Funktionen, die in Photoshop und Bleex fehlen. So kann man beispielsweise schon bei der Bearbeitung eine statische Ebene (meist das freigestellte Fahrzeug) über den Hintergrund legen. Damit bekommt man ein deutlich besseres Gefühl für das Endergebnis. Nochmals vereinfacht wird der Workflow mit der Option »Real-time preview«, also einer Vorschau in Echtzeit. Dieses Feature ist vor allem für Anfänger sehr praktisch, da es Änderungen sofort anzeigt und man dadurch wesentlich schneller lernt.
Importmöglichkeiten
Das Virtual Rig Studio kann sowohl JPEGs, PNGs, TIFFs als auch EXR-Dateien öffnen. PSDs werden im Gegensatz zu Bleex nicht unterstützt. Bleex importiert außerdem auch JPEGs, TIFFs und PNGs.
Exportmöglichkeiten
In der Trail- und Lite-Version kann das Virtual Rig Studio nur JPEGs exportieren, in der Pro-Version kann man zwischen JPEG, TIFF, GIF, PNG, HDRI und EXR wählen. Bleex bietet hier zwar etwas weniger Möglichkeiten, ist aber in der Praxis dadurch nicht im Nachteil.
Auf die Import- und Exportmöglichkeiten von Photoshop gehe ich hier nicht näher ein.
Colormanagement
Hier kann Photoshop natürlich seine Stärken ausspielen, denn defacto sind ihm in dieser Disziplin keine Grenzen gesetzt. Bleex und das Virtual Rig Studio sind in diesem Punkt klar im Nachteil. Beide unterstützen keine CMYK-Profile. Bleex kann aber immerhin mit allen RGB-Profilen umgehen. Das Virtual Rig Studio kann zwar auch Bilder mit sämtlichen RGB-Profilen öffnen, interpretiert sie aber immer im sRGB-Farbraum und verfälscht dadurch eventuell die Farben. Das Bildmaterial muss also zuvor nach sRGB gewandelt werden. Ausgegeben werden die Bilder von Virtual Rig Studio immer ohne Farbprofil. Bleex behält das eingebettete Profil bei und ist somit dem Virtual Rig Studio, was Colormanagement betrifft, überlegen.
Betriebssystem
Hier ist Bleex der klare Verlierer, da es nur unter Mac OS X lauffähig ist. Das Virtual Rig Studio und Photoshop sind sowohl für Windows als auch für Mac OS X erhältlich.
Preis
Photoshop möchte ich hier nicht weiter erwähnen, da er kaum nur für diese eine Aufgabe erworben wird und daher preislich nicht vergleichbar ist. Die beiden anderen Programme sind sich preislich sehr ähnlich. Beide sind in einer gratis Trail-Version verfügbar und ebenso in einer Lite bzw. »Easy«-Version um jeweils 99 Euro. Die Vollversion des Virtual Rig Studios (mit 2 »Fixed Computer«-Lizenzen) kostet 1499 Euro, Bleex Pro ist um 999 Euro erhältlich.
Fazit
Im Grunde muss jeder selbst entscheiden und das Programm wählen, was den Anforderungen am ehesten entspricht. Windows-User können ohnehin nur zwischen Photoshop und Virtual Rig Studio wählen. Für Einsteiger empfehle ich definitiv die Lite Version von Virtual Rig Studio, da sie der »Easy«-Version von Bleex einfach überlegen ist. Beispielsweise enthält sie im Gegensatz zur Easy-Version von Bleex den Jitter-Effekt und auch die maximale Ausgabegröße liegt mit 3000 x 3000 Pixel über jener von Bleex (2500 x 2500 Pixel). Für den professionellen Einsatz bieten beide Programme im Wesentlichen denselben Funktionsumfang mit dem großen Vorteil, dass Bleex um 500 Euro billiger ist. Dennoch wirkt das Virtual Rig Studio etwas fortschrittlicher und ausgereifter. Allerdings wurde das Virtual Rig Studio auch erst kürzlich aktualisiert. Es kann also durchaus sein, dass Bleex hier noch aufholt. Photoshop kann für Hobbyfotografen bzw. semiprofessionellen Produktionen durchaus ausreichen und besitzt natürlich den Vorteil, dass er höchstwahrscheinlich nicht erst erworben werden muss. Die Möglichkeiten die Photoshop bietet, können aber keinesfalls mit den zwei anderen Programmen mithalten.
Die Angaben beziehen sich auf folgende Versionen: Virtual Rig Studio 3.0.418, Bleex 1.1.4 und Photoshop CC 2014.